Digitale Reife – do not panic

Digitalisierungsgrad: Suchen Sie die „low hanging fruits“!

21.11.2018

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Mike Petersen Member of the Executive Board Management Board
Mike Petersen

Member of the Executive Board
Mike.Petersen@cbe-digiden.de

Hinter dem Term „Digitale Reife“ verbirgt sich der optimale Digitalisierungsgrad von Unternehmen, um individuellen Marktanforderungen und Notwendigkeiten zur Optimierung interner Prozesse gerecht zu werden.

Wirtschaftsforschungsinstitute und Verbände haben sich in den letzten Jahren auf den Nenner geeinigt, deutschen Unternehmen einen zu geringen Digitalisierungsgrad zu bescheinigen. Ich lese viel von der Gefahr, abgehängt zu werden, weil insbesondere mittelständische Unternehmen sich zu zögerlich mit Digitalisierung beschäftigten. Ich glaube nicht, dass das so ist. Digitalisierung findet statt: In der ersten Zündstufe sind seit Jahren Kommunikationstools und -standards in Unternehmensprozesse diffundiert. Aus Brief wurde Fax, aus Fax wurde E-Mail aus E-Mails werden Kollaborations-Plattformen.

Kommunikationsstandards und Verhalten wurden privaten Verhaltensweisen angepasst. Digitale Kommunikation ist normal und „convenient“ und das bereitet den Weg zur zweiten Zündstufe: Echte Innovation. Die Prozessautomatisierung, sprich die Nutzung von gesammelten Daten als Smart Data, die Anwendung darin findet, Unternehmensprozesse vorzubereiten, zu beschleunigen oder komplett abzuwickeln.

Das klingt so, als ob es jeder bräuchte. Aber warum gelten deutsche Mittelständische Unternehmen dann als nachholbedürftig? Es geht um die Deutung, die sich auf Erhebungen stützt, die nicht hinreichend das einzelne Unternehmen betrachtet.

Der digitale Reifegrad eines Unternehmens, der sich am Umfang realisierter digitaler Prozesse und Methoden bemisst, kann nur individuell erhoben und bewertet werden. Für manchen ist die aktuelle digitale Reife bereits dann schon optimal, wenn derselbe Grad für einen anderen vielleicht gerade erst den Anfang von Digitalisierung bedeutete. Pauschalisierungen mögen politisch interessant sein, bringen aber das einzelne Unternehmen nicht weiter.

Digitalisierung. Das Wort findet momentan umfangreich Verwendung, aber was meint es für Mittelständische Unternehmen? Unternehmen „digitalisieren“ analoge Prozesse, um effizienter und wettbewerbsfähiger arbeiten und auftreten zu können. Digitalisierung ermöglicht Unternehmen z. B. Geschwindigkeit aufzunehmen, Kosten zu sparen, Strukturen und Prozesse zu verbessern.

Wo liegen die Herausforderungen und warum geht es vielleicht nicht so schnell und sichtbar, wie Beobachter es sich wünschen? Eine Antwort auf diese Frage ist die Besinnung auf die Weisheit: „schnell“, „gut“ und „billig“ gehen nicht zusammen.

In der Regel finanzieren Mittelständische Unternehmen Digitalisierungsmaßnahmen aus eigener Tasche. Das Kreditwesen von Banken ist auf potentiell agile Investitionsvorhaben weitestgehend nicht ausgelegt. Ein günstiger digitaler Transformationsprozess hat sicher Vorteile gegenüber einem kostenintensiveren. Ob eine kostengünstige Digitalinvestition den Anspruch an „gut“ erfüllen kann, ist fallabhängig. Dort wo austauschbare und weitestgehend standardisierte Dienstleistungen zum Treiben eines Digitalisierungsprozesses herangezogen werden können, bietet sich der Zuschlag für ein günstigeres Angebot an. Denn Anbieter können hier auf modulare Lösungen zurückgreifen.

Oft geht es aber nicht um den Einsatz und die Integration eines neuen Systems in bestehende Prozesse, um einen neuen potenteren Datenserver oder eine funktionalere Website. Häufig bietet sich weitergehend eine prozessuale Neudefinition von Prozessen an, die zum Ziel hat, die Effizienz analoger Prozesse optimiert zu digitalisieren – ganz oder teilweise. Kommt es zu diesem weitreichenden Ansatz, sind Digitalberater mit „track record“ und Expertise gefragt. Es geht dann um Datenmanagement, Datenkommunikation, Informationsarchitektur, sowie um Generierung und Nutzung von Daten im Sinne des Unternehmens – für übergeordnete administrative Prozesse, für Produktionsprozesse, für Sales- und andere Wirtschaftsprozesse.

Umstellung oder Optimierung von Prozessen finden bei Mittelständische Unternehmen meist im laufenden Betrieb statt – am offenen Herzen. Stillstand wegen Verbesserungsvorhaben ist nicht tragbar und nicht versichert.

Es bietet sich deshalb an, nicht gleich 100% der möglichen Digitalisierungen anzustreben. Mein Vorschlag: Suchen Sie die „low hanging fruits“ und kreieren sie hieraus einen hübschen Obstkorb. Suchen Sie nicht gleich das Wolltier, das Eier legt, Milch gibt und gut schmeckt. Welcher Prozess in Ihrem Unternehmen fällt Ihnen wiederholt auf? Wo sehen Sie Geldverschwendung, Umständlichkeit, Zeitvergeudung? Das sind in der Regel Prozesse die sich über einen digitalen Transformationsprozess optimieren lassen. Digitalisieren Sie Ihr Unternehmen in Ihrem Tempo, und nehmen Sie sich nicht mehr vor als Sie und Ihre Belegschaft bewältigen können. Gehen Sie Optimierungen schrittweise konsequent an. Es wird vielleicht der Moment kommen, in dem sich die Frage nach einem übergreifenden System stellt, mit dem viele Prozesse gleichzeitig gesteuert und gepflegt werden können. Wenn Sie von Beginn an nach zu komplexer systemischer Veränderung in Unternehmensprozessen suchen, birgt das die Gefahr, dass Sie entweder gar nicht erst starten oder Systeme nach Ihrer Einführung nicht in voller Bandbreite von Mitarbeitern genutzt werden, die vor der Einführung so geplant war.

Digitalisierung kann nicht auf einmal erledigt werden. Digitalisierung ist wie der Buckelgeist, der einst in der Kinderserie Sindbad demselben auf den Rücken gesprungen ist und nicht mehr ´runter wollte. Digitale Optimierungen unterliegen ständiger Iteration und Anpassung; sie sind wichtiger Wettbewerbsfaktor. Digitalisierung und mit ihr die ständige Verbesserung effizienter Wertschöpfung in Vorgängen und Prozessen auf unterschiedlichen Ebenen begleitet nicht nur unser Privatleben, sondern auch sämtliche Unternehmensprozesse.

Das Rennen ist lang und hat weder Ziel noch Ende. Europäische Mittelständische Unternehmen werden nicht abgehängt, weil sie möglicherweise weniger leicht an Geld kommen als fantasievolle Startups oder weil sie Schritt für Schritt mit der Digitalisierung beginnen. Vielmehr kann dies der Grund sein, warum Europäische Unternehmen mit starkem Fundament den Nutzen aus Digitalisierung dort herausziehen werden wo er Ihnen am meisten Vorteile bringt. Gewinner werden jene sein, die Digitalisierung dort realisieren, wo es Sinn macht und nicht dort, wo es möglich ist.

Die französische Küche ist deshalb so delikat geworden, weil man über viele entbehrungsreiche Jahre gelernt hat, aus Mangel an Ressourcen das Beste zu machen.

Schauen Sie sich genau an, was Sie in Ihrem Unternehmen haben – und insbesondere, was Sie nicht haben. Schauen sie Ihrem Nachbarn in den Topf. Sie mögen nicht, was sie sehen? Nehmen Sie andere Ingredienzen. Können Sie selber nicht kochen, suchen Sie sich einen Koch. Möglichst einen, von dem sie sich vorstellen können, mit ihm über einen längeren Zeitraum zu arbeiten. Fangen Sie mit Nudeln an. Mit einer Sorte. Versuchen Sie sie „al dente“ hinzukriegen. Und dann nehmen Sie die nächste Sorte. Und dann die nächste.